Antiqua!

Otto Moſer

Plagwitz

Bevor der Plagwitzer Wundermann, welcher in einem Zeit­fenſter von wenigen Jahren Leipzig mit einem neuen prächtigen Stadt­theile beſchenkte, welcher die beſcheidene Elſter zwang, auf ihrem Rücken ſchwere Zillen und flotte Dampf­ſchiffchen zu tragen, der Wieſen und Einöden mit ſtattlichen Straßen durchzog, einen ſchon vor vielen Jahrhunderten vom Markgrafen Otto dem Rei­chen gefaßten Plan, die Saale durch einen Canal mit Leipzig zu verbinden, in’s Leben rief, — bevor der raſtloſe Schöpfer einer über Leipzigs Weſten ge­kommenen Aera, der in unſeren Annalen unſterbliche Doctor Heine als Pionier großartiger Umgeſtaltun­gen Hacke und Spaten auch nach Plagwitz trug, war dieſes eins der beſcheidenſten Dörfchen in Leipzigs Um­gebung.  Aber auch eine der reizendſt gelegenen Ortſchaften war es. Entfernt von lautem Verkehr lugte es aus ſeinem von Wald und Wieſen um­gebenen Verſteck zwiſchen dem Grün der Bäume freundlich her­vor, und nur die drei ſtattlichen Häuſer am Zſchocheriſchen Wege, Landſitze reicher Leipziger, gaben ihm nach Außen hin ein An­ſehn, welches vielleicht ſeine idylliſche Lage etwas beeinträchtigte. Inzwiſchen war Plagwitz größer, als dies auf den erſten Anblick hin der Fall zu ſein ſchien. Die alte Dorfſtraße giebt noch jetzt Zeugniß davon. Es hatte 17 Nachbarhäuſer, deren Areal wohl größtentheils in Doctor Heine’s Beſitz gekommen ſein mag, ein Hirtenhaus und 9 ſogenannte Gärtnerhäuſer,  welche zuſammen am Schluſſe des Jahres 1840  von 193 Menſchen bewohnt wur­den. Was in einigen Jahren aus dem beſcheidenen Dörfchen geworden iſt, lehrt der Augenſchein. Breite, ſchöne Straßen, theilweiſe mit prachtvollen Villen beſetzt, durchſchneiden den zu mächtiger Ausdehnung gelangten Ort. Hochauf ragen die Dampf­eſſen bedeutender Fabriketabliſſements, Brücken und Canäle er­leichtern den Verkehr, überall ſtädtiſches Leben, ſtädtiſche Ein­richtungen und ſtetes Fortdrängen nach Vergrößerung. Das Heine’ſche Gut iſt bekanntlich eine Muſterwirthſchaft und die nahe Ziegelei merkwürdig durch Anlage und Betrieb. Ein weiteres großartiges Etabliſſement, die Naumann’ſche Brauerei, iſt der am weiteſten vorgeſchobene Poſten, vielleich der Kryſtallations­punkt für neue Anſiedelungen. Kleinzſchocher und Plagwitz dürf­ten ſich bald ebenſo brüderlich berühren, wie dieſes und Lin­denau. Die Brauerei iſt von Kleinzſchocher nicht viel weiter, als einen Büchſenſchuß entfernt. Die Zahl der Einwohnerſchaft ver­größert ſich unaufhörlich. Zu Ende des Jahres 1864 lebten in Plagwitz 1736 Menſchen. Eingepfarrt iſt der Ort nach Klein­zſchocher, wohin bis zum Jahre 1841 die Kinder auch zur Schule gehen mußten.

Plagwitz wird ſchon in früheſter Zeit ein Beigut von Klein­zſcho­cher genannt, und es muß ſich demnach einſt hier ein herrſchaftliches Vorwerk befunden haben. Vielleicht ſtand dasſelbe auf der Stelle des Grundſtücks, welches am öſtlichen Ende des alten Dorfes liegend, ſich durch ſeine großen Gebäude, eine umfangreiche Hofreithe und einen ausgedehnten parkartigen Garten auszeichnete. Der Conditor Wollweber legte hier vor etwa fünfundzwanzig Jahren eine Reſtauration an, die jedoch, trotz ihrer herrlichen Lage, nicht zu rechter Blüthe gelangen wollte und wieder einging. Der letzte Wirth kündigte in dem Garten bisweilen Thierhetzen an, wbei jedoch die Beſtien nicht aus Ungeheuern ferner Welttheile, ſondern aus Menſchen, harmloſen Erzeugniſſen der verſchiedenſten Jahrgänge aus der Nähe des Roßplatzes, beſtanden, welche in Schweine, Affen und Bären metamorphoſirt von wirklichen Hunden, die durch Maulkörbe unſchädlich gemacht waren, eine Zeit lang herumgejagt wurden und mit dieſen, oder untereinander Kampfſpiele anſtellten. Den Schluß dieſer mehr ergötzlichen als äſthetiſchen Vorſtellungen veranlaßte der Ausbruch einer improviſierten Beſtialität der Mimen gegen den Wirth. In Folge ſchlechter Einnahme weigerte ſich dieſer, den Thieren das bedungene Honorar auszuzahlen und plötzlich wurde das noch im Garten anweſende Publicum durch ein Nachſpiel überraſcht. Die Bären, Orangutangs und wilden Schweine, alles noch im Coſtüm, fielen über den Wirth her und prügelten ihn tüchtig durch. Von dieſem Tage an wurde die Plagwitzer Arena für immer geſchloſſen.

So ſtill wie die Lage des alten Dorfes, blieb auch ſeine Geſchichte. Wir wiſſen nur, daß es im Jahre 1637 von den Schweden angezündet wurde und gänzlich niederbrannte. Ein gleiches Schickſal traf das Dorf am 2. October 1706, wo es durch Nachläßigkeit eines Tabakrauchers abermals in Aſche ſank. Seit Jahrhunderten war Plagwitz ein beliebter Vergnügungsort der Leipziger und da der Ort auf Merſeburgiſchen Gebiet lag, ſo konnte man hier namentlich das einſt ſo berühmte Merſeburger Bier ganz wohlfeil haben, während es in Leipzig, als fremdes Bier, ziemlich theuer kam. Wie ſpäter Gohlis und Schleußig, bildete Plagwitz lange den Zielpunkt der Luſtfahrten auf dem Waſſer. Das gute Bier mag indeſſen auch Veranlaſſung geweſen ſein, daß hier häufig die großartigſten Schlägereien vorfielen, wobei es nicht nur oft blutige Köpfe, ſondern auch Leichen gab. Auch als Eldorado für die Spieler war Plagwitz bekannt, und nicht minder befand ſich hier ein berüchtigter Tempel der Cythere. Am 18. April 1666 ging Matthäus Kaßke, ein Schuhmacher, nach Plagwitz ſpazieren und gerieth daſelbſt mit Spielern in Händel. Um Mißhandlungen zu entgehen, wollte er ſich auf einem Kahne flüchten, hatte denſelben aber kaum abgeſtoßen, als er das Gleichgewicht verlor, in’s Waſſer ſtürzte und ertrank.

Am 25. Auguſt  1651 durchbohrte in der Schenke zu Plagwitz der Schloßſoldat Curt Hartkopf den Zimmermann Tobias Hickert mit ſeinem Degen, daß er gleich darauf ſtarb. Das Gericht ſchnitt ein Stück von dem blutigen Hemde des Getödteten ab und legte es zu dem Protokoll. Der Thäter war entflohen und hat nichts wieder von ſich hören laſſen, dagegen wurde deſſen Kamerad, Friedrich Döllinger, welcher ebenfalls den Degen gezogen und über Hickert’s Ermordung gefrohlockt hatte, auf zwei Jahre des Landes verwieſen. — Einen intereſſanten Beleg für die ſchmutzige Habſucht der damaligen Juſtizwirthſchaft liefert nachſtehender Fall. Am 15. Februar 1692 fiel bei Plagwitz ein ſchwer beladener Wagen um, und erſchlug einen nebenher gehenden fremden Mann. Die Leiche, in deren Kleidern man 25 Thaler fand, wurde in Klein­zſcho­cher beerdigt. Nach einigen Tagen erfuhr man, daß der Verunglückte Samuel Fuchs, ein Weber aus Oberfrohne war und eine blutarme Familie, beſtehend aus einer Wittwe und ſieben unerzogenen Kindern, hinterließ. Es wurde darauf dieſen ein kleiner Reſt des Geldes, des ganzen Vermögens des Erſchlagenen, welches er in Leipzig aus dem Verkaufe ſeiner Waare gelöſt, zugeſchickt. Faſt alles war für Begräbnißkoſten, Gerichtskoſten und eingereichte Reverſalien des Gerichtsherrn Hildebrand von Dieskau, der drei Rittergüter beſaß, drauf gegangen. Bei einer am 15. Auguſt 1736 hier ſtatt­gefundenen Schlägerei zwiſchen Studenten, Schneidergeſellen und Soldaten, die ſich bereits beim Vogelſchießen auf der großen Wieſe am Kuhthurm entſponnen hatte, floß viel Blut und gab es mehrere tödtliche Verletzungen. Die Schneider müſſen ritterlich gefochten, oder vielmehr geprügelt haben, denn ein ganzes Dutzend derſelben wurde feſtgenommen und nach Leipzig in’s Gefängniß abgeführt, von wo man ſie erſt nach geleiſteter Caution wieder auf freien Fuß ſtellte. – Im Jahre 1700 wurde Magdalene Schmidt, eine Diebin, mit dem Staupbeſen durch das Dorf gehauen, und dann auf ewig des Landes verwieſen.

Daß die alten Plagwitzer, trotz ihrer Unterthanenpflicht gegen einen ſchlichten Landedelmann, den Herrn auf Klein­zſcho­cher, etwas Abſonderliches auf ſich hielten und ſich gern als Leute von guter Lebensart zeigten, bewieſen ſie bei der ſolennen Einholung der verwittweten Kammerherrin Sibylle von Dieskau, welche bisher in Koſpuden gewohnt hatte, am 5. Juli 1741. Dieſe Einholung giebt ein intereſſantes Zeitbild aus jenen Tagen, wo der Menſch erſt mit dem Baron begann und die gnädige Erb-, Lehn- und Gerichtsherrſchaft ſo eine Art Souverainchen vorſtellte, welches ſich einbildete, daß der liebe Gott die Bauern nur ſeinetwegen erſchaffen habe. Sämmtliche Unterthanen der Frau Kammerherrin aus Klein­zſchocher, Miltitz, Lauſen und Plagwitz zogen an genannten Tagen in zwei Corps, eins beritten, mit Degen in den Händen und Piſtolen in den Halftern, das andere zu Fuß mit Seitengewehr und Flinten bewaffnet, bis Knautkleeberg der Edelfrau entgegen. Unter Trompeten- und Paukenſchall und öfterem Salvegeben kam der Zug bis an die Sandgrube oberhalb Klein­zſcho­cher, wo die Jungfern in ſchwarzen Ehrenkleidern mit Kränzen auf den Köpfen aufgeſtellt waren, und ſich dem Conducte anſchloſſen. Unter Glockengeläute gelangte der Zug durch das mit Zweigen und Ehrenpforten geſchmückte Klein­zſcho­cher und beim Ausſteigen der Gefeierten aus dem Wagen ſtimmten die Unterthanen „Nun danket Alle Gott“ an. Während die Herr­ſchaften ſpeiſten, überreichten die Plagwitzer der Gutsfrau einen ſchönen Aufſatz von Confecturen und ein auf Atlas gedrucktes Gratulationsgedicht, eine Höflichkeit, welche bei den übrigen Ge­meinden viel Staunen und Neid erregte.

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Der Text entstammt dem Buche:

Die Umgebung Leipzig’s in geschichtlichem Abriß der nächstliegenden Sechsundfünfzig Dörfer dargestellt von Otto Moser. Leipzig: M. G. Prieber, 1868. Seiten 55–58

Die zeitgenössische Recht­schreibung wurde beibehalten.