800 Jahre thomana - Jubiläum ohne Anlass

Im Jahr 2012 feiert die Stadtverwaltung 800 Jahre thomana: nämlich die »Gründung und Eröffnung« von Thomaskirche, Thomasschule und Thomanerchor.

Dafür gibt es keinen Anlass!

Zwar liegt die Zeit vor 800 Jahren aufgrund der schlechten Quellenlage ziemlich im Dunkeln, aber das kann keine Rechtfertigung für Vermutungen und Erfindungen sein. Genauer:

Das Thomaskloster

Für das Augustiner-Chorherrenstift St. Thomas gäbe es noch am ehesten einen Grund zum Feiern. Eine Urkunde (Urkundenbuch, S. 1) vom 20.03.1212 des deutschen Königs und Kaiser des heiligen römischen Reichs Otto IV. von Braunschweig (1177?-1218) bestätigt die Gründung eines Klosters und Hospitals (monasterium et hospitale) in Leipzig durch den Markgrafen von Meißen Dietrich (»der Bedrängte«, 1162-1221). Ein eigentliches Gründungs- oder Stiftungsdatum fehlt zwar, aber die Vergangenheitsform fundavit et dotavit (»begründet und beschenkt«) lässt erkennen, dass der Stiftungsakt vor oder spätestens am 20.03.1212 stattfand. Sie könnte aber durchaus auch früher erfolgt sein, z.B. im Jahre 1210, als Dietrich zusätzlich noch Markgraf der Ostmark wurde.

In dieser Urkunde wird keine Kirche, keine Schule und auch kein Chor erwähnt!

Die Widrigkeiten, vor allem auch der Widerstand der Leipziger Bürger (!), führten dazu, dass das Kloster nur langsam errichtet werden konnte, und erst kurz vor dem Tode des Stifters (17.02.1221) Ende 1220 oder Anfang 1221 eröffnet wurde.

Das Thomaskloster wurde 1541 säkularisiert und hatte damit keine 800jährige Geschichte.

Die Thomaskirche

Die Thomaskirche ist älter als das Thomaskloster. Sie wurde bereits im 12. Jahr­hundert als Leipziger Markt­kirche errichtet. Ihr ursprünglicher Schutz­patron ist nicht über­liefert; vielleicht war es der Evangelist Johannes1). Jedenfalls brachte Heinrich von Morungen (1150?-1222) wohl erst 1213 die Reliquie des Heiligen Thomas aus Indien nach Leipzig.

In einer Urkunde aus dem Jahre 1213 (Urkundenbuch, S. 2) nennt Markgraf Dietrich die Kirche erstmals St. Thomae und unterstellt sie dem Kloster. Infolge des Klosterbaus waren an der Stifts­kirche natürlich Erweiterungen nötig: so wurde (erst) im Jahre 1218 der im Osten angebaute Chor geweiht.

Für die alte Marktkirche ist kein Stiftungsdatum bekannt; die Umwidmung als Stifts­kirche ist erst für 1213 zu belegen.

Die Thomasschule

In den älteren Urkunden wird niemals eine Schule des Thomasklosters erwähnt. Im Personal des Klosters lässt sich kein scholasticus (Lehrer, Schul­vorsteher) nachweisen, wie er sonst bei Kloster­schulen üblich war. Auch bezog sich das Gebot Kaiser Karls zur Einrichtung von Kloster­schulen in Deutsch­land nur auf Dom­schulen - was in Leipzig nicht der Fall war (wohl aber z.B. bei St.Afra in Meißen).

Richter nennt für das Jahr 1222 die »(Angebliche) Gründung der Thomasschule«, bei Vogel kommt sie gar nicht vor.

Erst am 20.02.1254 wird erstmals eine Schule urkundlich erwähnt: der Propst Conrad (II.) verteilt die Zinsen einer schola exterior (äußere Schule), die er von eiusdem scolae magister (deren Schul­meister) erhält. Eigenartig - wenn es sich doch um eine Einrichtung des Klosters handeln sollte?

Im Jahr 1295 wird ein Zeuge Theodorikus als rector scolarium in lipzk (Schul­rektor in Leipzig) bezeichnet (ohne Bezug auf das Kloster), erst 1443 bezeichnete sich ein Magister Schus als rector scolae Thomanae (Rektor der Thomasschule).

Selbst wenn es eine Klosterschule gegeben hätte, kann diese nicht vor dem Kloster selbst eröffnet worden sein (1220/21). - Die urkundlichen Quellen sprechen bei der frühen Schule sogar gegen eine Zugehörig­keit zum Kloster, was deren Ursprünge noch unklarer macht. Eine 800-Jahr-Feier lässt sich in keinem Fall begründen.

Und schließlich: die 600-Jahr-Feier der Thomasschule fand am 07.05.1822 statt!

Quellen

Fußnoten:
1) jedenfalls wurde das Kloster nach Fertigstellung dem Ordens­gründer St.Augustin, dem Apostel Thomas (wegen der Reliquie?) und eben dem Evangelisten Johannes geweiht. Vielleicht eine Reminiszenz an den alten Kirchenpatron? - Die Johannis­kirche auf dem heutigen Johannis­platz entstand erst im 14. Jahr­hundert.
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